Streulicht

Maik Dirk L?bbert / 1998

Die Beleuchtung des Alltags

Zu den Lichtskulpturen von Maik und Dirk Löbbert

Das natürliche Licht ist der Quell des Lebens. Dem Menschen der Vorzeit spendete das leuchtende Feuer Wärme und bot ihm Schutz vor der bedrohlichen Finsternis. Erblickte ein Wanderer oder Seefahrer einst im Dunkeln ein Licht, dann verhieß es ihm menschliches Leben, Herberge, Hoffnung oder hilfreiche Orientierung. Diese archaischen Empfindungen für das Licht sind noch heute in uns lebendig.

Sobald der Mensch sich Lampen schuf, kam die Gestaltung zum Licht. Die Lampe, vor allem die moderne elektrische, verlängerte umsatzsteigernd die Produktionszeiten und machte, vor allem in den Städten, die Nacht zum Tag. Das künstliche Licht wurde zum vielseitigen Gestaltungsmedium und ein bedeutendes ästhetisches Phänomen unserer dynamischen Gegenwart.

Wenn es dunkel wird und die Lampen angeschaltet sind, dann tritt das technische Medium visuell in den dienenden Hintergrund und sein Licht wird sichtbar. Es leuchtet hell, es nimmt auch immaterielle Formen an und reißt mit seinem raumdurchflutenden Schein aus der dämmrigen oder dunklen Umwelt einen Aspekt der Wirklichkeit heraus. Doch häufig beachten wir das Licht der Lampen nicht besonders, wir nutzen nur selbstverständlich seinen Schein. Denn Licht ist Schein, aber das, was es sichtbar macht, nicht. Auf dieser simplen Realität der Wahrnehmung beruht auch die künstlerische Arbeit der Gebrüder Maik und Dirk Löbbert.

Vor einigen Jahren haben die Kölner Künstler Maik und Dirk Löbbert auch das Licht für ihre realitätsbezogene Kunst entdeckt, die sich mit der „Wahrnehmung des Besonderen im Alltäglichen“¹ beschäftigt. Die Löbberts machen dem Betrachter die verborgenen oder übersehenen räumlichen Verhältnisse und alltäglichen Existenzebenen eines Ortes sichtbar. Sie lenken seine Augen und Sinne auf die trivialen Realitäten von Objekten, die er beim täglichen Gebrauch selten bewusst wahrnimmt. Dazu gehört auch das Licht. Eine Wahrnehmungsförderung bezüglich unserer Umwelt erreichen Maik und Dirk Löbbert sowohl mittels minimaler Verfremdungen oder einfühlsamer Veränderungen der besonderen Eigenheiten eines ausgewählten Ortes als auch durch sensible formale Integration in Bestehendes. Sie erzielen Aufmerksamkeit für ihre Kunst durch Irritation der Sinne und durch intelligente Veränderungen des Seh-Gewohnten.

(...) in ihrem Projekt für die Stadt Pulheim, das sie „Streulicht“ nannten, nehmen Mail und Dirk Löbbert auf eine vorgefundene Lampe Bezug. Vom Kulturamt der Stadt eingeladen, ein Projekt auf Zeit im Pulheimer Stadtbild zu realisieren, haben die Künstler dafür die Rückseite der dortigen Stadthalle (Dr.-Hans-Köster-Saal) erwählt, die mit zwei verschieden langen und rechtwinklig aufeinanderstoßenden Brandmauern einen Freiraum abgrenzt, der als Parkplatz genutzt wird. Die Mauern, mit ihrem leicht rosa schimmernden Verputz, künden von dem Plan der Kommune, hier in der Zukunft das Gebäude eines Kulturzentrums mit Bibliothek und Medienraum anzuschließen. Dieser kulturbezogene Sachverhalt hat die Künstler um so mehr interessiert, mit ihrem Kunstwerk Licht in die provisorische, aber zukunftsorientierte architektonische Situation zu bringen. Was beide einmal wieder mit beeindruckender Einfachheit  der Mittel bewerkstelligten.

Den Löbberts fiel nämlich eine einsam in der Mitte der längeren Wand hängende Leuchte auf, die in der Dämmerung und des Nachts den Parkplatz erhellt. Indem die Künstler ganz einfach über beide Wände in rhythmischer Abfolge und Ordnung 19 zusätzliche Lampen des gleichen Fabrikats verteilten und elektrisch anschlossen (8 auf der kurzen, 11 auf der längeren Mauer), schufen sie eine eindrucksvolle Lichtinstallation auf der Basis simpler Multiplizierung eines bereits am Ort existierenden Ausgangsobjekts. Alle 20 Wandleuchten – und wer weiß, welche von ihnen die ursprüngliche ist? – werden zur Dämmerungszeit gleichzeitig mit der Pulheimer Straßenbeleuchtung eingeschaltet. Sie beleuchten nicht nur heller als bisher die Platzsituation, sondern sie erzeugen im wahrsten Sinne des Wortes, wie es Maik und Dirk Löbbert in ihrer Projektkonzeption voraussahen, auf den Wänden „ein außergewöhnliches Lichtbild“. Und wahrhaftig, die von mehreren Pfeilern getragenen Brandmauern gleichen quasi architektonisch gestützten Bildflächen. Schon tagsüber werden sie plastisch von den metallisch dunklen Leuchtkörpern rhythmisch strukturiert. Jedoch erst bei Dunkelheit, die im Herbst früh einsetzt, zaubern die eingeschalteten Lampen eine immaterielle Lichtmalerei auf die Wände. Es ist eine Lichtzeichnung, eine „Fotografie“ ganz besonderer Art. Im Dunkeln treten die Lampenkörper in ihrer profanen Gestalt zurück und das ihnen entspringende Licht allein entfaltet seine faszinierende Ästhetik. Beginnend mit der zwielichtigen Dämmerung steigert sich seine 80 Watt pro Lampe messende Leuchtkraft proportional im Kontrast zur stetig zunehmenden Dunkelheit der einbrechenden Nacht. Dabei spielt sich ein stimmungsmäßig poetischer Dialog zwischen dem erblassenden Tageslicht und der zunehmenden Leuchtintensität der 20 Wandlampen ab, die mit kaltblauem Magentalicht 20 Lichtkegel über die Wände verteilen.
Dieses Streulicht der Lampen zeichnet auf dem schattigen Untergrund der Mauern halbkreisförmige Lichthöfe von vibrierender Struktur, die sich in ihrer Helligkeitsintensität zwar bald nach unten verflüchtigen, die zusammen aber eine ineinandergreifende, informelle lichtmalerische Komposition bilden. Deren geordnete Struktur aus hellen und dunklen Zonen sowie aus diversen lichten Zwischentönen verteilt sich auf den Wandflächen gemäß dem überlegten Rhythmus der Lampenkonstellationen. Das kaltblaue Lampenlicht reflektiert auf den rosa anklingenden Brandmauern und legt über die gesamte Lichtinstallation einen immateriellen und räumlichen Rotschimmer.

Stets haben die Löbberts bei ihren Installationen den Raum bzw. den Umraum im Blickwinkel. So auch hier. Aus der Distanz zu dem Pulheimer Lichtbild gesehen, in dem die 20 profanen Lichtquellen wie Sterne in einem diffusen Lichtraum erstrahlen, heben sich die Silhouetten der wärmer als die Wandlampen leuchtenden Straßenlaternen tiefenräumlich wirksam ab, und die huschenden Lichtkegel der an- und abfahrenden Autos bringen einen lichtkinetischen Aspekt in die lichtgestalterische Gesamtsituation. Verlischt das Lampenlicht, dann verlischt auch das Kunstwerk. Der anbrechende Tag macht die Lampenkörper wieder als triviale Objekte offenbar, so, wie der Pinsel nicht das Bild sein kann.

Das Kunstwerk „Streulicht“ ist Teil des Pulheimer Tagesablaufs und Lebensrhythmus’. Demontierte man es eines Tages, was bedauerlich wäre, dann würde nur noch eine Lampe den Ort beleuchten, wie ein einsamer Stern. Und manch einer würde sich vielleicht an die strahlende Helligkeit des Löbbertschen Lichtbildes erinnern, das die zurückgebliebene Lampe einst nur in gemeinsamer Leuchtkraft mit den anderen 19 „malen“ konnte.
So stellt sich abschließend die Frage, ob auch in diesem Kunstwerk von Maik und Dirk Löbbert über die ästhetische Erfahrung des Näherliegenden hinaus ein tieferer Sinn vermutet werden darf?


Gerhard Kolberg
        
(Erstveröffentlichung des vollständigen Textes im Ausstellungskatalog, Maik und Dirk Löbbert, Streulicht, Pulheim, 1998)


¹ Siehe Detlef Bluemer über Maik und Dirk Löbbert, in: Künstler, Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 43, Heft 22, 3. Quartal 1998, eine Edition der Verlage Weltkunst und Bruckmann, S. 3.

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Gerhard Kolberg:
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Zu den Lichtskulpturen von Maik und Dirk Löbbert

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